Wahfpflichtfach | Bachelor- und Master-Studiengang Architektur| Sommersemester 2022

Ausgehend von einem großen Stapel Dachlatten, Nadelholz C24 mit den Abmessungen 24x48 mm, das einzige Baumaterial, das verwendet werden sollte, fragten wir uns:  

Was kann man mit diesen Dachlatten alles anstellen? Welche Tragkonstruktionen lassen sich damit realisieren? Wie kann dieses Material konstruktiv intelligent in ein Bauwerk umgesetzt werden? Welche Stützweiten und Belastungen sind möglich? Wie können oder müssen diese Elemente zu einer Tragstruktur gefügt werden?

In einem Workshop am Ende des vergangenen Sommersemesters beschäftigten wir, Prof. Benno Bauer und Prof. Stefan Zimmermann, uns mit einer Gruppe von 28 Studierenden der Fakultät Architektur und Gestaltung mit den vielfältigen konstruktiven Möglichkeiten von stabförmigen Tragstrukturen. Um die Realisierung eines kleinen Pavillons innerhalb einer Woche zu erreichen, schärften wir die Randbedingungen folgendermaßen: Alle Stäbe aus den besagten Dachlatten sollen sollten nicht länger als 1 Meter und nahezu identisch sein. Es sollte eine tonnenförmige Gitterschale mit einem Radius von 3 m entstehen und es durfte jeweils nur ein Fügungsprinzip bzw. Verbindungmittel verwendet werden. Als Standort waren die Fahrradstellplätze vor Bau 8 vorgesehen.

In Kleingruppen wurden zunächst verschiedene Ideen verfolgt, woraus drei unterschiedliche Strukturen resultierten.

Als erstes entstand eine Tonnenschale als Hebeltragwerk. Das Prinzip ist aus der berühmten Skizze von Leonardo da Vinci bekannt. Es basiert auf der Überlagerung und Verkantung von Stabelementen unter Ausnutzung deren Biegesteifigkeit. Die einlagige Konstruktion erreichte aufgrund der geringen Biegesteifigkeit der Dachlatte nicht die geforderten Abmessungen, aber die sorgfältige Fertigung ergab eine präzise Tonnenschale.

Quadratische Maschen mit stirnseitigen Verschraubungen von jeweils vier sich kreuzenden Stäben prägten die zweite Struktur. Die langwierige Tüftelei an der komplexen Geometrie des Knotenpunktes ermöglichte am Ende nur die Realisierung einer kleinen Skulptur. Das Konstruktionsprinzip und die Tragwirkung aber waren sehr gut nachvollziehbar.

Die dritte Tragstruktur berücksichtigte von Anfang an, dass eine Tonnenschale mit Kreisquerschnitt nur durch die Verrautung der Stabelemente formstabil ist, und dass sie für exzentrisch angreifende Lasten eine gewisse Biegesteifigkeit aufweisen muss. In Anlehnung an die Zollinger- bzw. Lamellenbauweise sollten nur identische Bauteile eingesetzt werden, welche mit Schraubbolzen als Verbindungsmittel gefügt werden. Da jedoch – im Gegensatz zu Zollinger – keine hochkant stehenden Bretter zur Verfügung standen, musste die Konstruktion zweilagig ausgeführt werden. 

Die Schwierigkeit bei allen Strukturen lag darin, dass der Kreisbogen poligonartig aus den geraden Dachlatten entstehen sollte, die Krümmung also im Fügungspunkt erzeugt werden musste. Dies forderte insbesondere bei der zweilagig verrauteten Gitterstruktur das dreidimensionale Vorstellungsvermögen aller Beteiligter. Es entspann sich ein regelrechter Wettkampf einzelner Kleingruppen um die richtige Lösung, eine Fülle von Knotenmodellen wurde gebaut. Interessant war, dass auch der Versuch, mit Hilfe des Computers diesen Knoten in 3D zu lösen, nicht ohne das räumliche Vorstellungsvermögen des Zeichnenden zu bewältigen war.

In sengender Hitze konnten dann bis zum Ende der Woche die drei beschriebenen Strukturen an den Fahrradstellplätzen vor Bau 8 errichtet werden. Ein Experiment, die „methodisch angelegte Untersuchung zur empirischen Gewinnung von Informationen“ (Zitat Wikipedia) beinhaltet explizit auch den Irrtum. So konnten wir an allen Modellen erkennen, was nicht unbedingt falsch, aber dennoch besser hätte gemacht werden können. Und diese Erkenntnisse sind am Ende die wertvollsten.

Der Erfolg dieses Workshops bestand in erster Linie im Tun, im experimentellen Prozess, geprägt durch Skizzen, Versuchen, Modellbau, Diskussionen, dann in der „Serienproduktion“, dem Zusägen, Bohren und Montieren der Latten und am Ende mit der Fertigstellung der Pavillons. Das Erfolgserlebnis eines händischen Prozesses im Team, im Gegensatz zum meist im Theoretischen verbleibenden Tun des Architekturstudiums.

Besondere Dank gilt unserem Werkstattmeister Phillip Spoun, der uns beim Sägen und Bohren hilfreich zur Seite stand.

Die Studienarbeit wurde durch Prof. Benno Bauer und Prof. Stefan Zimmermann betreut.

Text: Prof. Stefan Zimmermann