Das vierte Online Seminar gemeinsam mit der IHK Region Stuttgart zur „LIN Stadt“ am Dienstag, den 16.03.2021 behandelte die Themen Urbane Simulation und Nachhaltigkeitsinnovationen. Prof. Dr. Volker Coors und Prof. Dr. Tobias Popović von der Hochschule für Technik stellten ihre Forschung in der iCity Partnerschaft und aktuelle Erkenntnisse vor.
Im Anschluss an das Expertenpanel öffnete sich die Runde wie gewohnt für die Fragen und Impulse der insgesamt 70 zugeschalteten Zuhörinnen und Zuhörer.
Zur Einführung in den Abend stellte Dr. Dirk Pietruschka, Geschäftsführer und selbst aktiv Forschender im iCity-Netzwerk, den Anwesenden die zentralen Forschungsbereiche und strategischen Ziele der iCity Forschungspartnerschaft vor. Dabei verwies Dirk Pietruschka insbesondere darauf, wie iCity versucht, die lebenswerten Aspekte einer Stadt in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung und smarter Anwendungen zu stellen.
Prof. Dr. Volker Coors eröffnete daraufhin das Expertenpanel. Sein Vortrag fokussierte auf die Möglichkeiten der Urbanen Simulation im Kontext der Stadtentwicklung. Anhand konkreter Beispiele aus seiner Forschungsarbeit, demonstrierte Prof. Coors, wie mittels der im Rahmen von iCity entwickelten Tools, Städte und Planerinnen und Planern durch Simulationen in der alltäglichen Arbeit unterstützt werden können. Aufbauend auf der Simulationsumgebung SimStadt wurde vorgeführt, wie integrierte Betrachtungen für Neuplanungen sowie für den Bestand vorgenommen und Informationen wie der Wärmebedarf, das PV-Potenzial oder der Wasserbedarf vom einzelnen Gebäude bis hin zur Stadtebene ermittelt werden können. Möglich machen dies hinreichend genaue CityGML-Daten, die ein 3D-Stadtmodell bereitstellen und dadurch Auskunft über Gebäudegeometrien enthalten sowie Klima-Modelle lokaler Behörden, die den Berechnungen zugrunde gelegt werden. Auch das Layout eines geeigneten Fernwärmenetzes lässt sich so mittels der Anwendung berechnen. Für die Stadtentwicklung lassen sich unter Anwendung Urbaner Simulationen Szenarien und Handlungsempfehlungen, wie beispielsweise Sanierungsfahrpläne, ableiten. Auf Nachfrage wies Prof. Coors darauf hin, dass es seinem Team ein Anliegen sei, verstärkt die Zusammenarbeit mit Kommunen zu suchen. Die Anwendung selbst wird von der HFT kostenfrei zur Verfügung gestellt. Prof. Coors hob zum Ende seines Vortrags die enormen Chancen hervor, die sich gerade für frühe Planungsphasen durch die Simulation integrierter Szenarien ergeben. So lasse sich ein Planungsdesign und ein Technologiemix realisieren, der den Ansprüchen und Bedarfen eines urbanen Quartiers in der Zukunft gerecht wird.
Inwiefern dynamische Windsimulationen oder auch die Integration von Ansprüchen, die sich aus einem nachhaltigen Mobilitätsangebot ergeben, bereits in der Simulationsumgebung Berücksichtigung finden können, waren zwei Fragen an den Referenten, die stellvertretend das Interesse der ZuhörerInnen und die Tiefe der Auseinandersetzung mit dem Thema verdeutlichen. Die grundsätzliche Möglichkeit zu dynamischen Simulationen, also mit erwarteten Messwerten über einen Zeitraum hinweg, konnte Prof. Coors bestätigen. Einschränkungen ergeben sich noch aufgrund der hohen Rechenleistung, die dafür benötigt wird. Dabei wurde auf die Erfahrung seines Teams mit der Berechnung von Windpotenzialen auf Quartiersebene im steady-state Modus (Zustand zu einem Zeitpunkt) verwiesen und gleichzeitig auf die Arbeit seiner Kollegin Ursula Voß aufmerksam gemacht, die mit ihren Ansätzen in Richtung dynamischer Simulationen geht und dies bereits u.a. durch Abschlussarbeiten vorantreibt. Auch die Implementierung von Straßennetzen sei bereits erprobt, in Hinblick auf Erkenntnisgewinne für nachhaltige Mobilitätsangebote wurde anbei auf die Forschung im entsprechenden iCity Handlungsfeld Nachhaltige Mobilität verwiesen.
Im zweiten Expertenpanel des Abends weitete Prof. Dr. Tobias Popović den Blick auf die „Grand Challenges“ bzw. die großen transformativen Herausforderungen unserer Zeit, die sowohl den Klimawandel, die Digitalisierung oder die Energie- und Mobilitätswende betonen, aber auch ganz aktuell im weltweiten Gesundheitswesen liegen. Untermauert werden die Prognosen jährlich u.a. durch den Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums, auf den auch Prof. Popović verwies: für 2021 stehen 4 der Top 5 dargestellten Risiken für die weltweite Bevölkerung im Kontext des Klimawandels. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, so Prof. Popović, ergeben sich für wirtschaftliches Handeln dadurch die sogenannten Rahmenbedingungen der VUKA-Welt: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität.
Die große Transformation erfordere insbesondere Schritte hin zu einer neuen Art zu wirtschaften, um eine Entkopplung von positiver wirtschaftlicher Entwicklung und CO2 Ausstoß zu realisieren. Viele Handlungsbereiche lägen dabei im Rahmen regionaler Politik, beispielsweise in Sachen Mobilität.
Prof. Popović sieht einen Teil der Lösung in dynamischen, lokalen Innovationsprozessen, bei denen sich unterschiedliche Akteure einer Region – große, eingesessene Unternehmen ebenso wie junge Start-ups und die Wissenschaft – gegenseitig befruchten. Wegweisend, wie Prof. Popović aus eigenen Konferenzbesuchen in Vancouver beispielsweise zu berichten wusste, ist eine klare Haltung und das Commitment der Politik für einen solchen Weg.
Als Korridor für „gutes“ wirtschaftliches Handeln verwies er beispielsweise auf die Sustainable Developement Goals (SDGs) der UN, die einen geeigneten Rahmen bereithielten. Indem politisches wie auch wirtschaftliches Handeln entlang der SDGs operationalisiert werde, ließe sich der Einfluss unseres Handelns in ökologischer, sozialer und auch ökonomischer Hinsicht positiv wirkungsvoll ausgestalten. Die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle und das Schaffen neuer Arbeitsplätze in nachhaltigkeitsrelevanten Geschäftsbereichen wurden als zentrale Aufgaben der Wirtschaft herausgestellt, was u.a. durch die Förderung von Start-ups vorangetrieben werden könne. Und auch die angewandten Hochschulen stellte Prof. Popović als wichtigen Akteur in einem regionalen Innovationsökosystem vor: durch die transdisziplinäre Forschung und Zusammenarbeit in Reallaboren beispielsweise können fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gemeinsam mit Praxispartnern in der Wirtschaft und weiteren Teilen der Zivilbevölkerung marktfähig umgesetzt und gesellschaftlich nutzbar gemacht werden. Die Hochschulen können in solchen Prozessen zusätzlich als Wissensträger fungieren, der die unterschiedlichen Bedarfe der am Transformationsprozess beteiligten Akteure kennt und vermitteln kann.
Stuttgart könne als gutes Beispiel mit einer regionalen Initiative vorangehen. International sieht Prof. Popović bereits einige Beispiele, die er der Runde präsentierte. Insbesondere die Stadt Vancouver hat ihn diesbezüglich beeindruckt. Die Region um Vancouver weist bereits seit vielen Jahren ein starkes wirtschaftliches Wachstum auf. Die Politik habe dort bereits früh einen partizipativen, gesellschaftlichen Dialogprozess gestartet, durch den sich die Stadt auf ein nachhaltiges Wertefundament gestellt hat. Erfolgreiche Start-ups im Green Job Segment, Reallabore im Verbund mit der Wissenschaft und ein breiter gesellschaftlicher Diskurs gingen daraus hervor. Zukunftstrends für die Wirtschaft konnten dadurch frühzeitig aufgegriffen werden. Die gesamte Region betrachtet sich als innovatives, wachsendes Zentrum, beschreibt Prof. Popović seinen Eindruck vor Ort. Eine kreative und innovative Atmosphäre mit Vorbildcharakter für die Region Stuttgart.
Die Hochschule für Technik sieht Prof. Popović dafür auf einem guten Weg. Dabei verwies er auf Vorhaben wie den iCity InnovationHub, mittels derer ein solcher Transformationsprozess, insbesondere im Bereich der intelligenten und nachhaltigen Stadt, angeschoben werden könne. Zusätzlichen Rückenwind für zukunftsweisende Weichenstellungen und nachhaltige Investitionen erhielten Entscheidungsträger in den Regionen u.a. durch Aktionspläne wie den Green Deal der EU.
Durch die gemeinsame Veranstaltungsreihe der IHK und der HFT Stuttgart zur LIN-Stadt bekommen unsere Mitgliedsunternehmen spannende Einblicke in aktuelle Forschungsthemen. Außerdem können in diesem Rahmen erste Fragen geklärt werden und vielleicht entstehen daraus sogar tiefergehende Kooperationen.
Die anschließende Fragerunde drehte sich neben bereits vorhandener Reallabor-Ansätze in der Region Stuttgart insbesondere um Hemmnisse für große wirtschaftliche Transformationsprozesse.
Die Forschung an der Hochschule für Technik habe mit transdisziplinären Forschungsvorhaben bereits einige Erfahrung sammeln können. Auch unter aktuell laufenden Projekten folgten einige einem Reallabor-Ansatz wie z.B. in der Gemeinde Wüstenroth, die durch die HFT auf dem Weg zur Plus-Energie-Gemeinde unterstützt wird. Hemmnisse abzubauen liege neben der politischen Verantwortung auch in der Hand der Hochschulen, indem durch die Lehre und den Transfer in die Gesellschaft, Wissen und Bewusstsein gestärkt würden und Hemmnisse langfristig überwunden werden. Forschungsarbeit verstärkt mit politischen Entscheidungsträgern zu teilen könne für die richtigen Weichenstellungen sorgen.
Die abschließende offene Diskussionsrunde drehte sich um konkrete Auswirkungen auf die Stadtplanung durch die Corona-Pandemie und daraus resultierendem Leerstand, wobei die Runde Chancen für die Bekämpfung der angespannten Wohnungssituation konstatierte. In Hinblick auf die Region als Innovationstreiber für nachhaltige Entwicklung wurde zudem nochmals auf die Rolle der Technologien als „Enabler“ verwiesen, deren Förderung es anzustreben gilt.
Weiter geht es in der „LIN Stadt“ Reihe am 18. Mai 2021. Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung für die kommende Veranstaltung erhalten Sie zeitnah bei der IHK Region Stuttgart (Link: https://www.stuttgart.ihk24.de/) sowie unter https://www.hft-stuttgart.de/forschung/i-city/veranstaltungen#subnavigation.
iCity und die IHK Region Stuttgart freuen sich über das wachsende Interesse an der HFT-Forschung und die große Beteiligung an den gemeinsamen Seminaren. Wir freuen uns, wenn wir sie auch zu unserer nächsten Veranstaltung begrüßen dürfen.