Mycelium Model Making | 1. Semester | Wintersemester 2023/24

Wie lässt sich Pilzmyzel als biologische Alternative für den Modellbau in Architektur und Design verwenden? Das Bewusstsein für nachhaltige Baustoffe wächst stetig - wie können wir auch im Modellbau darauf eingehen? Hier kommt nach wie vor häufig expandiertes oder extrudiertes Polystyrol (EPS/XPS) zum Einsatz - ein rohölbasierter und umweltschädlicher Kunststoff. Als Alternative untersuchen wir Myzel, das unterirdische „Wurzelwerk“ von Pilzen, dessen technische Eigenschaften denen von Kunststoffen in mehreren Aspekten ähneln.

Im Wintersemester 2023/24 analysierten die Studierenden zunächst innerhalb des Workshops „beyond the lab“ mit der Biodesigerin Miriam Josi M.Sc. des Pariser Büros aléa, welche der innerhalb der Hochschule anfallenden Abfällströme sich als Substrat zur Myzel-Zucht eignen. Dabei erwiesen sich Sägespäne unserer Holzwerkstatt, die normalerweise entsorgt und thermisch verwertet würden, als besonders geeignet.

Für den darauffolgenden Semesterentwurf wählten die Studierenden jeweils einen Aspekt des Pilzwerkstoffs aus, den sie besonders spannend empfanden - z.B. eine Methode des Formenbaus, eine Bearbeitungs- oder Veredelungstechnik. Davon ausgehend entschieden sie sich für mindestens einen passenden gängigen Modellbau-Maßstab, in dem anschließend entworfen und gearbeitet wurde.
Ziel war es, die breite Vielfalt der Modellbau-Möglichkeiten mit diesem natürlichen Komposit anhand verschiedener Typologien zu erforschen und aufzuzeigen (proof of concept): vom Möbel- oder Detail-Mock-up, über Pavillon-, Innenraum-, Schnitt-, Vertiefungs-, Fassaden- und Gebäudemodelle bis hin zum Lage- oder Städtebau-Modell. Folgende Maßstäbe wurden bearbeitet: 1:1 / 1:5 /  1:10 / 1:20 / 1:25 / 1:50 / 1:100 /  1:200 / 1:500

Eingangs wurde in Gruppen eruiert, was den jeweiligen Maßstab auszeichnet, mit welchen Materialien diese Modelle in der Regel gebaut werden und welche besonders gelungenen Modelle dazu exisitieren (best practice). Anschließend wurden Projekte konzipiert, um im Modell ihre Umsetzung zu finden. Klar im Vordergrund standen die Materialität / Konstruktion mit Myzel bzw. der gewählte Teilaspekt. Es sollte auf die ökologische Sinnhaftigkeit der Idee geachtet werden. Für welches Material in Realität bzw. im 1:1 steht das Myzel im Modell - für einen anderen nachhaltigen Baustoff, oder sogar für sich selbst? Wie kann das inaktivierte Material bearbeitet, getrennt, gefügt, veredelt werden? Oder eignet sich sogar der lebende Organismus als Designwerkzeug? Dokumentiert wurden nicht nur die Endergebnisse, sondern auch vorangegangene Materialversuche und Prozesse mittels Laborjournal und Fotos.

Vielen Dank an Tyroler Glückspilze für die großzügige Unterstützung.

Der Semesterentwurf wurde betreut von den Myzelforscherinnen Julia Krayer M.A. und Lina Vieres B.Sc. des Fraunhofer UMSICHT, sowie der Akademischen Mitarbeiterin Dipl.-Des. Melissa Acker.

Ein Auszug des Projekts wird vom 15. Februar bis 12. März 2024 im Foyer Bau 1 ausgestellt, gemeinsam mit verschiedenen anderen Forschungsprojekten der HFT.

"KOS" - Afra Gölzer, Amira Klimpel

Basierend auf den Eigenschaften von Myzel spiegelt das Projekt die architektonische Verbindung mit der Natur wider. Ziel war es, ein Feriendorf in einer nahezu unberührten Gegend in Norwegen zu entwerfen, das respektvoll mit der Umwelt interagiert und seine Gäste einlädt, sie zu erkunden. Durch die Verwendung von Baustoffen und Möbeln, die den Kriterien der Nachhaltigkeit und Regionalität entsprechen, soll ein Design mit minimalen Auswirkungen entstehen. Auch der Modellbau mit Myzel folgt diesen Prinzipien und soll zeigen, wie dieses Material in Zukunft eine realistische Alternative zu herkömmlichen synthetischen Modellbaumaterialien werden kann.

1:500 Geländemodell, 1:50 Maßstabsmodell mit Möbeln
Verwendete Materialien: Reishi Myzel, Fruchtkörper, Finnpappe, (gefärbtes) Birkenholz, Lehm-Sand-Mischung, Holzleim, Acrylglas, Zuckerglas
Substrat: Sägespäne aus der HFT-Werkstatt, geräucherte Buchenspäne

"GROWING IN - MYCELIUM CONSTRUCTION MODEL" - Katharina Mayer

Die Eigenschaft des eigenständigen Wachstums von Myzel eignet sich sehr gut für ein Konstruktions-Schnittmodell, d.h. ein Teil des Modells zeigt die Unterkonstruktion und der andere Teil zeigt die geschlossene Fassade. Aus dieser Idee entstand ein Gebäudeentwurf mit einer hölzernen Zangenkonstruktion. Diese enthält sowohl Wohn- als auch Gewerbeflächen, um dem Wohnungs- und Gewerbemangel entgegenzuwirken. Als Bindeglied zwischen Entwurf und Modell dient die geplante Myzeldämmung im Gebäude, die wie alle anderen verwendeten Materialien nachhaltig und recycelbar ist. Der Entwurf berücksichtigt somit nicht nur soziale, sondern auch nachhaltige Aspekte. Beim Modell wird die Unterkonstruktion manuell gebaut und anschließend mit Myzel und Substrat in eine Form gegeben. Nun wächst das Pilzgeflecht von selbst durch alle Bauteile hindurch und bindet sie fest aneinander. Am Ende entstand ein Gebäudemodell im Maßstab 1:50 und ein Fassadenschnittmodell im Maßstab 1:20.

Um Kunststoff auch im Formenbau zu vermeiden wurde ein Test mit alter Pappe und etwas Klebeband durchgeführt. Der Karton wurde zur Herstellung der Form, der Fassade und des Untergrunds verwendet. Das normalerweise verwendete Styropor wurde also durch recycelte Pappe ersetzt und es wurden keine neuen Materialien gekauft. Eine einfache - nachhaltige - Modellbauweise.

1:50 Gebäudemodell, 1:20 Fassadenschnittmodell
Verwendete Materialien: Myzel, Sägemehl, Holz, Wellpappe

"USING MYCELIUM AS A CONSTRUCTIONAL DESIGN TOOL" - Janina Lamm

Der Ausstellungspavillon befindet sich auf dem Campus der Hochschule für Technik. Er bietet einen Raum für die Ausstellung von Studierendenprojekten und kann für Präsentationen gebucht werden.
Der Pavillon wird mit einem gewöhnlichen Trockenbausystem errichtet, wobei die Verstärkung nicht durch Gipskartonplatten, sondern durch Myzelplatten erfolgt. Diese werden mit überschüssigem Sägemehl aus der hochschuleigenen Werkstatt hergestellt.
Alles wird vorübergehend zusammengebaut und kann leicht wieder demontiert werden.
Um die Form der Fassade zu definieren, wird die wachsende Form des Myzels in einem kleineren Modell (1:25) als Entwurfswerkzeug verwendet.

1:25 Übersichtsmodell, 1:1 Mock-up
Verwendete Materialien: Myzel, Sägemehl, Aluminium, Mehl, Holzleim, Schrauben, Metallgitter
Substrat: Sägespäne aus der HFT-Werkstatt

"REID" - Kirsten Schäfer

Um Nachhaltigkeit auf allen Ebenen zu etablieren, hat unsere Hochschule uns die Aufgabe gestellt, ein Myzelprodukt für den Modellbau zu entwickeln.
Meine Antwort ist Reid, eine Finnpappe bestehend aus Sägespänen der hochschuleigenen Werkstätten, Reishi und Agar-Agar. Reid kann verwendet werden wie man es von herkömmlicher Finnenpappe im Modellbau gewohnt ist. Reid ist als Set mit einem Kleber und einer Acrylglasalternative konzipiert. Nach der Verwendung kann das Reid-Modul einfach kompostiert werden. Oder noch besser: in neue Reid-Platten verarbeiten, um eine Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen.
Im Folgenden ein Beispiel für Reid in Verwendung, um das Konzept eines Wohn-Bungalows im Gebiet Stuttgarter Rohracker darzustellen.

1:100 Gebäudemodell
Verwendete Materialien: Myzel (Reishi), Holz, Mehl, Stärke, Agar, Wasser, getrocknete Blüten, gemahlene Flohsamen
Substrat: Sägespäne aus der Schreinerei HFT, Räucherspäne, Flohsamenschalen

"MYKOLLECT" - Leyla Minks, Luise Störkel

MYKOLLECT ist ein autarkes Tiny House, das speziell für Pilzsammler entwickelt wurde, als Ort zum Übernachten und zum Austausch ihrer gesammelten Pilzarten. Die hohen Fenster sorgen für eine optimale natürliche Beleuchtung und schaffen eine Verbindung zwischen dem Innenraum und der Waldumgebung. Die solide Holzkonstruktion bildet die Grundstruktur, während die Außenhülle durch Fassadenplatten aus Myzel mit einem einzigartigen Relief hervorsticht. Um das hohe Erosionsrisiko des organischen Materials zu kontrollieren, wurde das Gebäude mit einem auskragenden Dach und einem erhöhten Sockel entworfen. Dadurch sind die Myzel-Paneele dauerhaft vor unterschiedlichen Witterungseinflüssen geschützt.

1:1 und 1:5 Fassadenpaneel Mock-ups, 1:10 Wandschnittmodell
Verwendete Materialien: Myzel, Holz, Holzleim, Kunststoffwinkel
Substrat: Sägespäne aus der HFT-Werkstatt

"MYCO BOARD" - Annkathrin Böhm

MyCo Board ist eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Modellbaumaterialien wie Spanplatten und MDF. Durch die Verwendung von Myzel bietet dieses Material eine vergleichbare Festigkeit und Feuerbeständigkeit und trägt den damit verbundenen Gesundheits- und Umweltbedenken Rechnung. Die Toadstool-Serie, eine Anwendung von MyCo Board, wurde für Vorschulen entwickelt und besteht aus größenvariablen Beinen aus MyCo Board und recyceltem Kinderspielzeug für anpassungsfähige Sitzflächen. Die Kollektion zielt darauf ab, Verwendungsmöglichkeiten für gepresste Myzel-Kompositmaterialien aufzuzeigen und anhand eines Beispiels zu skizzieren.

1:5-Möbelmodell, 1:1-Mock-up
Verwendete Materialien: Myzel, Sägespäne, 3d-gedrucktes PLA
Substrat: Sägespäne aus der HFT-Werkstatt